Erbvorbezug: 7 Fakten für Immobilienbesitzer
Mit einem Erbvorbezug den Kindern neue Möglichkeiten zu eröffnen, ist weit mehr als nur eine schöne Geste: Für viele junge Familien beispielsweise bedeutet dieser Weg angesichts der aktuellen Immobilienpreise die einzige Chance auf Wohneigentum. Gerade weil es hier häufig um existenzielle Fragen geht, verdient das Thema eine detaillierte Betrachtung.
- 1. Gesetzliche Regelungen bei der Erbteilung
- 2. Erbvorbezug ist ausgleichspflichtig
- 3. Erbvorbezug verjährt nie
- 4. Was gilt als Erbvorbezug?
- 5. Ist bei einem Erbvorbezug ein Vertrag erforderlich?
- 6. Kann man Geschenke zurückfordern?
- 7. Die wichtigste Empfehlung: Nachlass rechtzeitig regeln
- Häufig gestellte Fragen zum Thema «Erbvorbezug»
Die Gründe für einen Erbvorbezug sind vielfältig und nicht immer müssen Liegenschaften dabei im Vordergrund stehen. Auch der Aufbau eines eigenen Unternehmens, der Wunsch auszuwandern, Unterstützung in einer schwierigen Lebenssituation oder steuerliche Überlegung des Erblassers können den Ausschlag geben.
Im Zusammenhang mit Immobilien kommen zwei unterschiedliche Ausgangslagen in Betracht: Entweder soll Wohneigentum schon zu Lebzeiten der Erblasserin und/oder des Erblassers übertragen werden, beispielsweise weil der Umzug in eine Alterswohnung bevorsteht. Oder ein Kind plant, selbst ein Haus respektive eine Wohnung zu kaufen und benötigt dabei Unterstützung. Häufig erweisen sich heute die Eigenkapitalanforderungen in Kombination mit den hohen Preisen als entscheidende Hürde: Auch wenn junge Familien über das nötige Einkommen verfügen, um die laufenden Kosten zu tragen, fehlen die finanziellen Mittel, um eine Hypothek zu erhalten.
Wenn Sie bis hierher gelesen haben, waren Sie vermutlich in Ihrem Leben erfolgreich genug, um über einen Erbvorbezug für Ihre Nachkommen nachdenken zu können. Glückwunsch – doch nun gilt es auch, sämtliche Aspekte zu beachten, die sich dabei als schwierig oder sogar hinderlich erweisen könnten.
1. Gesetzliche Regelungen bei der Erbteilung
Eine Frage stellt die Grundlage für alle weiteren Überlegungen dar: Wem steht welcher Teil der Erbmasse zu? Betrachten wir zuerst den Fall, der (leider) häufiger anzutreffen ist: Der Nachlass ist nicht in einem Testament geregelt. Die Aufteilung erfolgt in diesem Fall nach den gesetzlichen Erbquoten, die ausschliesslich Ehepartner, Nachkommen und Eltern einschliessen.
Hinterlässt die Erblasserin oder Erblasser nur einen Ehepartner, aber keine Kinder oder Eltern, so steht ihr oder ihm das gesamte Erbe zu. Gibt es umgekehrt nur Kinder, aber keinen Ehepartner, wird das Erbe zu gleichen Teilen zwischen ihnen gesplittet. Umfasst die Erbengemeinschaft beides, erhält die Partnerin oder der Partner die Hälfte des Gesamtvermögens, die andere Hälfte geht wiederum zu gleichen Teilen an die Kinder. Falls weder Partnerin oder Partner noch Kinder vorhanden sind, geht das gesamte Erbe an die Eltern, so diese noch leben. Zuletzt: Verbleiben eine Ehefrau oder ein Ehemann und die Eltern, aber keine Kinder, erhält der Partner 75 %, die Eltern 25 % des Erbes.
Mit einem Testament haben Sie die Möglichkeit, eine von den gesetzlichen Erbquoten abweichende Verteilung festzulegen. Allerdings dürfen dabei die vorgeschriebenen Pflichtteile nicht unterschritten werde. Hierzu ist anzumerken: Die Höhe dieser Pflichtteile ändert sich mit Inkrafttreten des neuen Erbrechts Anfang 2023. Die folgende Tabelle verschafft Ihnen den Überblick:
2. Erbvorbezug ist ausgleichspflichtig
Ein Erbvorbezug ist bei einer späteren Erbteilung auszugleichen; das heisst, er wird auf den zustehenden Anteil angerechnet. Sie haben die Möglichkeit, eine Zuwendung ausdrücklich von dieser Regelung auszunehmen, indem Sie sie als Schenkung klassifizieren. Die Pflichtteile bleiben aber dennoch bestehen und können nicht durch einen solchen Kunstgriff ausgehebelt werden.
Wie erfolgt der Ausgleich? Der Wert des Vorbezugs wird der Erbmasse hinzugerechnet, die anschliessend aufgeteilt wird. Im nächsten Schritt wird der Wert des Vorbezugs vom Erbteil der Person abgezogen, die ihn erhalten hat. Das kann sogar dazu führen, dass die betreffende Person eine Ausgleichszahlung leisten muss, falls der Vorbezug den Wert des Erbteils übersteigt.
3. Erbvorbezug verjährt nie
Der zeitliche Abstand zwischen Erbvorbezug und Eintreten des Erbfalls hat keinen Einfluss auf die Ausgleichspflicht. Mehr noch: Selbst bei einer allfälligen Berechnung von Ergänzungsleistungen spielt es (fast) keine Rolle, wann Sie einen Erbvorbezug gewährt haben: Der entsprechende Wert wird weiterhin Ihrem Vermögen zugerechnet – allerdings nicht vollständig, sondern mit einem Abzug von 10’000 Franken pro Jahr.
Der Faktor Zeit kann jedoch in anderem Zusammenhang eine tragende Rolle spielen. Falls der Erbvorbezug in Form einer rein finanziellen Zuwendung erfolgt, wird beim späteren Erbfall exakt dieser Betrag als bereits bezogenes Erbe angenommen. Überschreiben Sie jedoch Ihr Haus an eines Ihrer Kinder, kommt der Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls zum Tragen, nicht derjenige zum Zeitpunkt der Schenkung.
4. Was gilt als Erbvorbezug?
Die Antwort auf diese Frage scheint offensichtlich: Als Erbvorbezug gilt jede Zuwendung, die Sie einer erbberechtigten Person zu Ihren Lebzeiten zukommen lassen. Eine Ausnahme bilden Schenkungen, die Sie wie weiter oben beschrieben von der Ausgleichspflicht ausnehmen. Darüber hinaus gibt es jedoch einige Fälle, die nicht so eindeutig einzuordnen sind. Ein typisches Beispiel: Sie besitzen eine Wohnung und lassen eines Ihrer Kinder zu einem sehr günstigen Mietzins dort wohnen. Hier sind sich noch nicht einmal die Gerichte einig, ab welcher Mietdauer dies als Erbvorbezug zu werten ist. Was uns direkt zu Punkt 5 aus unserer Liste führt.
5. Ist bei einem Erbvorbezug ein Vertrag erforderlich?
Rein rechtlich setzt ein Vorbezug keinen Vertrag voraus. Dennoch möchten wir Ihnen dringend empfehlen, derart wichtige Vorgänge schriftlich zu regeln. Erstens geht es schnell um nennenswerte Beträge, und zweitens beugen Sie damit Streitigkeiten vor, die nach Ihrem Ableben entstehen könnten. Nicht zu vergessen: Falls Sie das Eigentum an einer Immobilie übertragen, sind ein vom Notar beurkundeter Vertrag sowie die Eintragung im Grundbuch Pflicht.
6. Kann man Geschenke zurückfordern?
Nein, natürlich darf man das nicht, sagt die Etikette. Grundsätzlich gilt das auch im Zusammenhang mit einem Erbvorbezug. Eine einmal gewährte Zuwendung können Sie nicht zurückverlangen. Einige Ausnahmen von dieser Regel gibt es allerdings, beispielsweise wenn der oder die Beschenkte eine schwere Straftat gegen Sie verübt oder familienrechtliche Pflichten in gravierender Weise verletzt.
7. Die wichtigste Empfehlung: Nachlass rechtzeitig regeln
Diesen Punkt kann man nicht genug betonen. Kaum jemand beschäftigt sich gern mit der eigenen Sterblichkeit. Doch zum Wohle Ihrer Nachkommen sowie Ihrer Ehefrau oder Ihres Ehemanns sollten Sie das Thema Erbschaft möglichst frühzeitig angehen. Gerade wenn Sie Erbvorbezüge gewähren, kann sich juristische Beratung schnell als sinnvoll erweisen. Natürlich steht es Ihnen – unter Beachtung der gesetzlichen Pflichtteile – frei, über Ihr Vermögen nach Belieben zu verfügen. Doch mit klarer Kommunikation, verbindlichen Vereinbarungen und idealerweise einem Ehe- und Erbvertrag legen Sie eine gute Basis dafür, dass der Familienfrieden gewahrt bleibt.
Häufig gestellte Fragen zum Thema «Erbvorbezug»
Was ist ein Erbvorbezug?
Von einem Erbvorbezug spricht man, wenn eine Erblasserin oder ein Erblasser einen Teil des Erbes schon zu Lebzeiten an einen oder mehrere Nachkommen überträgt. Steuerlich gibt es keinen Unterschied zur Schenkung. Ein Erbvorbezug ist grundsätzlich ausgleichspflichtig; das heisst, er wird auf die im Testament oder, falls ein solches nicht vorhanden ist, im Gesetz festgelegten Erbteile angerechnet. Diese Ausgleichspflicht kann jedoch durch eine entsprechende Vereinbarung ausgeschlossen werden, solange die gesetzlichen Pflichtanteile eingehalten werden.
Was ist der Unterschied zwischen einem Erbvorbezug und einer Schenkung?
Eine Schenkung ist eine unentgeltliche Zuwendung ohne Anrechnung auf den Erbteil. Eine ausdrückliche Schenkung unterliegt also nicht der Ausgleichspflicht, mit einer wichtigen Ausnahme: Die gesetzlich festgelegten Pflichtteile des Erbes können auch durch eine Schenkung nicht umgangen werden.
Wie wird die Ausgleichspflicht bei einem Erbvorbezug berechnet?
Erhält eine Erbin oder ein Erbe einen Erbvorbezug, wird beim Eintreten des Erbfalls der Vorbezug vom im Gesetz oder Testament festgelegten Erbteil abgezogen, um den tatsächlichen Anspruch zu berechnen. Oft setzen Familien einen Vertrag auf, der für Klarheit sorgt und so Streitigkeiten vorbeugt. Handelt es sich beim Erbvorbezug um eine Liegenschaft, ist der Verkehrswert beim Eintreten des Erbfalls massgeblich für die Berechnung.
Wie wird ein Erbvorbezug steuerlich behandelt?
Steuerlich wird ein Erbvorbezug wie eine Schenkung behandelt. Die Berechnungsgrundlage ist der Verkehrswert der Liegenschaft zum Zeitpunkt der Schenkung. In vielen Kantonen sind Nachkommen aber von der Schenkungs- und Erbschaftssteuer befreit.
Welche Formvorschriften gelten für einen Erbvorbezug?
Für einen Erbvorbezug ist grundsätzlich keine festgelegte Form einzuhalten, selbst eine mündliche Vereinbarung reicht aus. In der Praxis ist es aber von Vorteil, den Erbvorbezug schriftlich festzuhalten, vor allem wenn es mehrere Erbinnen und Erben gibt. Für Grundstücke, Wohnungen und Häuser ist es erforderlich, dass der Erbvorbezug im Vertrag festgehalten und vom Notar öffentlich beurkundet wird
Kann ein Erbvorbezug rückgängig gemacht werden?
Ein Erbvorbezug kann nur in absoluten Ausnahmefällen rückgängig gemacht werden. Geraten die Erblasser jedoch in eine finanzielle Notlage, beispielsweise durch Pflegebedarf, können die Empfänger des Erbvorbezugs für anfallende Kosten zur Rechenschaft gezogen werden.
Welche Vorteile hat ein Erbvorbezug?
Ein Erbvorbezug ermöglicht es, den eigenen Nachkommen schon zu Lebzeiten mehr finanziellen Spielraum zu geben, beispielsweise für die Gründung eines Unternehmens oder den Kauf einer Immobilie. Auch das angestammte Zuhause der Familie kann an die Nachkommen übertragen werden, falls die Eltern sich entscheiden, in eine kleinere Liegenschaft oder eine altersgerechte Wohnung zu zügeln.
Adimmo AG
Peter Vögeli
eidg. dipl. Immobilientreuhänder
Mitglied der Geschäftsleitung